Eisdorf


Gespräche zwischen Jung und Alt nach der Eröffnung der Ausstellung.

Eisdorf (pb). Pastor Jens Kertess und Pastor André Dittmann, Diakoniebeauftragter des Kirchenkreises Osterode, hatten zusammen mit dem Kirchenvorstand zu einem Gottesdienst und einer Ausstellungseröffnung in die St. Georgs-Kirche zu Eisdorf geladen. Beide Aktionen befassten sich mit einem Tabuthema, was in vielen Gemeinden offensichtlich noch immer im Verborgenen liegt: Armut.

Bevor aber die liturgische Feier begann, die instrumental von Michael Stein an der Orgel und von Pastor Dittmann auf der Gitarre begleitet wurde, erhielt jeder Besucher zwei Punkte, mit denen er zu der Frage „Was fällt ihnen zum Thema Armut ein?“ vorgegebene Antworten markieren sollte. Am Ende hatten Stichworte wie „mangelnde Bildungschancen“ und „Ausgrenzung“ viele Punkte gesammelt. Weil sich aber alle darüber einig waren, dass keiner selbst daran schuld ist, wenn er in die finanzielle und auch seelische Loch rutscht, ging dieser Gedanke punktemäßig leer aus. Genau das zeige auf, so Pastor Dittmann, dass die Menschen in der Gemeinde das richtige Gespür dafür hätten.

Mit der Ausstellung, die im Kirchengemeindehaus bis zum 1. November dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr – oder nach Vereinbarung – zu sehen ist, soll allen die Augen geöffnet werden und Vorurteile weiter abgebaut werden. Pastor Dittmann mahnte an, dass allein in der Samtgemeinde Bad Grund 25 Prozent der Mädchen und Jungen im Alter von gerade geboren bis 18 Jahre von Sozialleistungen abhängig seien. Insgesamt seien aber „nur“ elf Prozent der Samtgemeindebevölkerung auf Sozialleistungen angewiesen. Hier werde deutlich, dass Kinder und Jugendliche in besonderer Weise von Armut betroffen seien. Die Kirche stelle sich dieser Frage und habe sich als Engel der Armen erhoben, weil die Missachtung der Armen aufhören müsse. Alle Menschen seien aufgerufen, als Wächter tätig zu werden, und vor der Armut nicht die Augen zu verschließen.

Er stellte auch ein Projekt der Landeskirche vor, das den Titel „Zukunftsgestalten“ trägt und Kindern, die in Armut leben, unter der Schirmherrschaft von Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann eine Chance geben soll. Der gesamte Kirchenkreis Osterode solle aufgerufen werden, mit der Gottesdienst-Kollekte den zukünftigen ABC-Schützen ein Starterpaket zu ermöglichen. Denn das gesammelte Geld werde seitens der Landeskirche um ein Vielfaches erhöht. Und in Eisdorf werde der erste Betrag zusammenkommen.
Pastor Kertess freut sich: „Über 150 EUR konnten im Gottesdienst für die Aktion „Zukunftsgestalten“ gesammelt werden. Ein guter Anfang!“

Kirchenvorstandsmitglieder setzten im Gottesdienst auch noch in einem Anspiel einen Alltag in Szene, wo Harz IV die Regie führt und der Tafel eine Hauptrolle spielt.

Nach der liturgischen Feier ergriffen Bürgermeisterin Petra Pinnecke und Samtgemeindebürgermeister Harald Dietzmann das Wort. Letztgenannter mahnte an, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werde, weil man sich weiter voneinander entferne, statt miteinander zu reden. Die Ausstellung verdeutliche ein Thema, das alle etwas angeht. Sie rufe dazu auf, sich umzuschauen und die Sensibilität zu steigern, um Hindernisse zu überbrücken. Auch er kam auf die Situation in der Samtgemeinde Bad Grund zu sprechen. Dort seien fast 800 Menschen von Armut betroffen, davon allein 180 Bürger, die unter 18 Jahre alt seien. Er hoffe, dass diese Ausstellung viel Aufmerksamkeit erfahre und große Diskussionen zur Folge haben möge.

Petra Pinnecke, die seit 28 Jahren im Sozialamt des Landkreises Osterode arbeitet, betonte, dass es sie noch immer erschrecke, dass es neben der finanziellen auch eine seelische Armut gebe. Die soziale Isolierung, die schlechte Gesundheit und die Anfälligkeit für Sucht seien die Folge von Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit. Armut sei auch bei uns längst nicht mehr unsichtbar, die Hilfsorganisationen schlügen schon Alarm. Es sei an der Zeit Verantwortung im Interesse des Gemeinwesens und der Demokratie zu übernehmen.

Die Ausstellung selbst rief mit dem gedruckten Wort alle Besucher zum Nachdenken und Umdenken auf. Denn es wurden zwar Fragen gestellt, denen antworten folgten, aber es gab auch welche, worauf der Betrachter die Antwort finden musste. Arbeiten, die zum Brückenbau zwischen Arm und Reich, zwischen Scham und Hilfsbereitschaft beitragen.

Übrigens werden während der gesamten Ausstellungszeit auch Führungen und Gespräche für einzelne Gruppen angeboten, in denen die Möglichkeit zur Diskussion besteht, während der durchaus auch Lösungen hervortreten können. Und am Sonntag, 8. November, ist dann eine Abschlussveranstaltung vorgesehen, in welcher die Ausstellung ausgewertet und gemeinsam überlegt werden soll, welche Möglichkeiten den Betroffenen geboten werden können. Sie wird um 18 Uhr ebenfalls mit einem Gottesdienst in der St. Georgs-Kirche beginnen.


Die Gottesdienstbesucher gaben mit Klebepunkten der Frage Antworten, was Pastor André Dittmann (li.) sehr freute.



Der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Tobias Armbrecht, Pastor Jens Kertess, Samtgemeindebürgermeister Harald Dietzmann, Pastor André Dittmann und Bürgermeisterin Petra Pinnecke (v. l. n. r.) präsentieren die Infos zur Aktion „Zukunftsgestalten“ und ihre Freude über die große Resonanz auf den Gottesdienst und die Ausstellungseröffnung. Fotos: Bordfeld