Die Landwirtschaft zieht sich immer weiter zurück aus den Dörfern Niedersachsens. Die Folgen: Viele Hofanlagen vergammeln, kaum einer will noch in die Gebäude investieren. Die Ortskerne drohen zu veröden. Das wollen das Land Niedersachsen und die Leibniz-Universität Hannover verhindern. Mit Hilfe von zwölf Modelldörfern sollen Strategien für die Zukunft der Dörfer entwickelt werden – eins davon ist Eisdorf im Kreis Osterode.
TYPISCHES BEISPIEL: Herbert Lohrberg zeigt auf drei alte Häuser in Eisdorf, die renoviert werden müssten. Aber keiner will mehr investieren, und so droht der Zerfall mitten im Ortskern. Foto: Werner
Beispiel Eisdorf: Viele Hofanlagen stehen leer
VON CHRISTIAN LOMOTH
EISDORF. Schön ist es hier, wunderschön sogar. Heile Welt in Bilderbuchformat, „die Leute leben auch sehr gerne hier“, versichert Herbert Lohrberg. Der 60-Jährige ist seit fünfzehneinhalb Jahren Bürgermeister in dem kleinen Ort Eisdorf im Landkreis Osterode. Mitten im Harz. Aber es gibt Risse in dem Dorf. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Garten verwildert
Zum Beispiel an dem prächtigen Gebäude, ein ehemaliger Hof. Von der Hauptstraße sieht er gut aus, von der Rückseite nicht mehr. Da sind Scheiben kaputt, der Garten verwildert. „Der Besitzer lebt da noch drin, aber der ist über 80 Jahre alt“, erzählt Lohrberg. „Der will und kann nicht mehr investieren.“ Und was die Nachfahren, wenn es überhaupt welche gibt, damit machen, ist völlig unklar. Weiter geht es zur Straße Am Goldbach. Lohrberg zeigt drei alte Häuser. Verwohnt, zum Teil leer, dahinter ein Hof, den Taubenzüchter nutzen. Und es gibt noch mehr Beispiele in dem 1400-Einwohner-Dorf: „Der Ortskern ist in Gefahr.“ „Früher war der Ort landwirtschaftlich sehr geprägt“, sagt Lohrberg. Das wurde in den 70er und 80er Jahren immer weniger. Ums Jahr 2000 rum haben wir dann die letzte Milchkuh hier rausgetragen.“
Dann hat Eisdorf wie sehr viele Dörfer im Harz ein Strukturproblem bei den Einwohnern: „Wir haben sehr viele ältere Einwohner bei uns, wir sind von den Einwohnern her der älteste Landkreis Niedersachsens.“
Wobei Eisdorf in den vergangenen Jahren entgegengesteuert und Bauland für junge Familien ausgewiesen hat. Die sind auch gern dorthin gezogen und freuen sich über den großen Kindergarten und die Grundschule im Ort. Aber sie wohnen am Ortsrand in neuen Häusern, das Problem Ortskern bleibt. Was man derzeit nicht so deutlich sieht. „Aber was wird in fünf bis zehn Jahren sein, dann ist das Problem richtig erkennbar. Und wenn es dann so schlimm ist, ist es zu spät zu reagieren.“ Noch haben die Eisdorfer Zuwachs in der Grundschule. „Aber was ist in ein paar Jahren?“
Also sollen mit Hilfe der Uni Hannover Strategien entwickelt werden, was mit den Hofanlagen passieren kann. Wie erhält man die Gebäudesubstanz? Wer wird sie nutzen? Verkaufen wird schwierig. Denn die Besitzer wollen viel Geld, die Käufer möglichst wenig bezahlen. „Das muss vielleicht ein unabhängiger Gutachter ran, der das klärt“, schlägt der Bürgermeister vor.
Hohe Schulden
Wobei ein Problem bleibt. „Lösungen wären ja schon mal schön, aber die müssen dann auch umgesetzt werden. Hochglanzprospekte zu verteilen, reicht nicht.“ Denn die Samtgemeinde Bad Grund hat ein Millionendefizit. „Die steht ganz schön in der Kreide. Da brauchen wir finanzielle Hilfe.“ Sonst ist in zehn Jahren vielleicht Schluss mit der heilen Welt.
Uni Hannover soll Strategien entwickeln
HANNOVER. Immer mehr Hofanlagen in Niedersachsen stehen leer – große Gebäude, die das Bild einer Ortschaft prägen. Wie können diese genutzt, mit Leben gefüllt werden, damit die Ortskerne nicht veröden? Antworten auf diese Fragen wollen das Land und die Leibniz-Universität Hannover finden. Zwölf Modelldörfer (siehe unten) wurden im Rahmen des Dorferneuerungsprogrammes gefunden, in denen die Problematik offensichtlich ist. Dort sollen nun Strategien entwickelt werden, die dann auf alle Dörfer angewendet werden sollen. Das soll so ablaufen: „Die Dörfer müssen sich einen Planer suchen, der mit den Einwohnern und Ratsmitgliedern zusammen Ideen entwickelt“, erzählt Winrich Voß (51), Professor für Flächen und Immobilienmanagement an der Uni. Er wird mit vier Kollegen in den nächsten Wochen ebenfalls die Dörfer bereisen, „und das Projekt wissenschaftlich begleiten“. Sie tauschen sich mit den Planern aus und geben Erfahrungen weiter. Ideen hat Voß schon für die Höfe: „Man könnte Wohnungen draus machen, vielleicht Betriebe ansiedeln oder gesellschaftliche Einrichtungen draus machen.“ Bleibt nur noch die Frage der Finanzierung: „Das muss dann natürlich das Land entscheiden, aber da gibt es ja viele Fördertöpfe.“ lo
Die Modelldörfer
Diese zwölf Orte sind Modelldörfer: Amelinghausen (Landkreis Lüneburg), Artland (Landkreis Osnabrück), Eisdorf (Landkreis Osterode am Harz), Hüllstede, Gießelhorst, Garnholt (Landkreis Ammerland), Landesbergen (Landkreis Nienburg),
Lobmachtersen (Salzgitter), Nordkampen (Walsrode), Odisheim, Steinau (Landkreis Cuxhaven), Oerel (Landkreis Rotenburg/Wümme), Ohne (Gemeinde Schüttorf), Pewsum (Landkreis Aurich), Wangelnstedt, Linnenkamp, Lenne (Landkreis Holzminden).
(Quelle: Neue Presse, Hannover 27.9.2008)